Liebeslied
von Alexandra Lüthen
Du bist mein Sommer.
Wärmst meine Haut.
Von innen und außen.
Bis sie kribbelt vor Hitze.
Ziehst mir das Kleid vom Leib.
Sagst mir: Das brauchst du nicht.
Hier ist ein See für dich.
Ich lauf hinein.
Das Wasser streichelt meinen Bauch.
Hängt mir im Haar.
In nassen Strähnen.
Es tropft auf unsere Decke.
Wo du liegst und wir Melonen essen.
Der Saft rinnt über Mund und Hände.
Und wir lachen.
Und du küsst mich.
Melonensüß und ohne Kerne.
Und fragst: Hast du noch Wein zuhause?
Wir radeln beim Türken vorbei.
Der Laden ist gerade noch offen.
Wir rennen durch die Gänge.
Schnell, schnell, schnell!
Schnappen uns Brot und Oliven und salzigen Käse.
Wie zwei Diebe.
Aber wir bezahlen.
Mit einem großen Schein.
Den leg ich auf die Theke.
Und rufe: Stimmt so! Wir haben Eile!
Und dann düsen wir weiter.
Treten in die Pedale wie die Verrückten.
Eigentlich müssten wir fliegen!
Und dann bei mir zuhause
packen wir alles auf den Tisch.
Und lassen es liegen.
Und lieben uns hungrig.
Einmal und noch einmal.
Und noch einmal!
Bis unser Magen so laut knurrt,
dass wir Angst bekommen
vor dem wilden Tier darin.
Und wir es füttern.
Auf dem Balkon
im Dschungel der Geranien
wird es schon wieder hell.
Und die Nachtigall singt uns
ein Liebeslied.
Ich bin dein Herbst.
Ich streich dir durch die Haare.
Blas dir die Locken ins Gesicht.
Eine Strähne hängt dir in die Augen.
Die lieb ich sehr.
Ich küsse dich.
Ich nehm dich bei der Hand.
Und lauf mit dir durchs Laub.
Wir haben keinen Hund.
Doch jeden Tag
gehen wir mit ihm spazieren.
So macht man das im Herbst.
Und der See fängt die Blätter.
Die fallen golden von den Bäumen.
Und ich sag: Das ist doch ein Wunder!
Und du sagst: Du bist mein Wunder, du Schöne.
Ich klopf mit der Hand auf die Stelle neben mir.
Der Baumstamm hält uns beide.
Da sitzen wir und hinter uns der Wind.
Und um meine Schultern dein Arm.
Meine Hand hält deine.
Der Fuchs läuft vorbei.
Orange wie ein Kürbis.
Komm, sagst du,
der Fuchs hat gesagt,
wir sollen jetzt gehen.
Er muss noch mit den Enten sprechen
und will den Wald für sich.
Wir laufen nach Hause.
Und essen Suppe.
Die hab ich gekocht.
Gestern schon.
Doch heute ist sie richtig gut.
Wir essen die Suppe.
Gelb wie die Blätter.
Orange wie ein Fuchs.
Und lieben uns müde.
Erst wild wie im Sturm.
Dann sanft wie ein Blatt,
das auf die Erde schwebt.
Und später hältst du mich im Arm.
Und der Wind vor dem Fenster
pfeift uns
ein Liebeslied
Wir sind unser Winter.
Du bist weit weg.
Für ein paar Wochen.
In einer anderen Stadt.
In einem anderen Land.
Und es ist genau gleich kalt.
Da und dort.
Ich bin geblieben.
Du schickst mir Eisblumen ans Küchenfenster.
Ich mach davon ein Foto.
Und lehn es an die Vase.
Und schreibe dir:
Danke für die Blumen,
sie sind schön und selten.
Doch du fehlst, mein Lieber.
Es ist kalt ohne dich.
Und du schreibst mir:
Du fehlst mir auch, ich komme bald.
Ich zähle die Äpfel im Keller.
Sie sind schrumpelig und gelb und süß.
Und sie sind nur noch wenig.
Und als die Nacht am kältesten ist.
Und der Stern am höchsten steht
in all der Dunkelheit.
Da schick ich mich selbst zu diesem Stern.
Dort treff ich dich.
Und wir tanzen im Traum
bis wir uns wiedersehen.
Und dann lieben wir uns von ferne.
Es glitzert sogar.
Alles glitzert kalt und schön und weiß.
Auf kahlen Ästen und schwarzen Zweigen.
Und dann kommst du wirklich.
Du bringst große, rote Blumen mit.
Amaryllis. Drei Stück.
So schwer, dass die Vase fast umkippt.
Und ich stell sie ins große Zimmer.
Das Einzige, in dem die Heizung geht.
Die Blüten öffnen sich.
Und wir lieben uns warm.
Schmelzen uns das Eis aus den Knochen.
Und spüren es flüssig werden.
Unter der dicken Decke.
Und das Wasser in den Heizungsrohren
gluckert uns
ein Liebeslied.
Es ist
Frühling,
als das Kind zu uns kommt.
Ich bemerke es mit den ersten Schneeglöckchen.
Ein Klingeln in mir.
Du legst dein Ohr auf meinen Bauch.
Und sagst: Ich hör es auch.
Und dann ziehen wir uns die leichten Jacken an.
Obwohl es noch frisch ist.
Denn ein Kind braucht Luft und Freiheit
und Bewegung.
So sagst du.
Ich finde das auch.
Und wir suchen so lange,
bis wir ihn sehen:
Den allerersten Schmetterling.
Zitronenfalter.
Und wir beschließen,
dass wir das kleine Zimmer gelb streichen werden.
Bald.
Wir gehen nach Hause.
Und immer müssen wir lachen.
Das ist das Kind!, sage ich.
Das kann es schon:
Es macht, dass wir lachen.
Es ist ein gutes Kind.
Ein sehr gutes.
Das Beste.
Wir brauchen mehr gelb!, rufst du.
Und kaufst bei Rewe
Zitronen und Limonade und Gouda-Käse.
Denn all das esse ich sehr gerne derzeit.
Und aus dem Kübel neben der Kasse
noch 5 Bund Narzissen und 3 Sträuße Tulpen.
Die ganze Wohnung duftet nach Anfang.
Und dann lieben wir uns.
Vorsichtig wie Schmetterlinge.
Und das Leben selbst gibt sich die Ehre.
Und ist für uns
ein Liebeslied.
Alexandra Lüthen wurde 1977 in Westfalen geboren. Heute lebt sie in Berlin. Sie schreibt Kurzprosa, Romane und Sachbücher in Standardsprache und Einfacher Sprache. Literatur in Einfacher Sprache ist eines ihrer liebsten Arbeitsfelder. Mit ihren Texten hat sie viele Preise gewonnen und ein Stipendium des Landes Berlin zur Förderung ihrer Arbeit bekommen. Sie findet: Literatur soll offen für alle sein. Weil Lesen ein großes Vergnügen ist. Und weil großes Vergnügen sehr wichtig ist für ein glückliches Leben.