Mit Glück und Mut in der Tasche von Slavica Klimkowsky Vorlesen

19. Mär 2021Slavica Klimkowsky
Kochen, Foto von zoli gy auf Pixabay

Mit Glück und Mut in der Tasche

von Slavica Klimkowsky

Ich heiße Eva-Marie.
Wie meine beiden Omas.
Eva ist die Mama von meinem Papa.
Und Mamas Mama heißt Marie.
In der Familie nennen mich alle Evi.
Das war schon immer so.
Sie kennen mich auch seit meiner Geburt.
Nur Frank nennt mich Eva-Marie.
Er kennt mich erst seit 5 Jahren.
Seit 3 Jahren wohnen wir zusammen.
Er versteht mich und glaubt an mich.
Und er liebt mich.
Und ich liebe ihn.

Ich bin 27.
„Nicht mehr ganz jung“, sagt Oma Eva.
„So schön jung“, sagt Oma Marie.
Ja, was bin ich nun?
Jung oder nicht mehr jung?
Aber so sind meine Omis.
Nie einer Meinung.
Ich habe sie beide gleich gern.
Und sage: Alt bin ich auch nicht.
Dann nicken sie.
Ein Mal in der Woche treffe ich die beiden.
Mal bei der einen Oma.
Mal bei der anderen.
Im Sommer auch in einem Kaffee•haus.
Dann sitzen wir draußen auf der Terrasse.
Und trinken Kaffee und essen Kuchen.

Es ist schön mit den beiden.
Manchmal auch ganz schön nervend.
Weil sie nie einer Meinung sind.
Und jede will im Recht sein.
Dann reden sie und reden.
Vergessen dabei, dass ich auch noch da bin.
Irgend•wann sehen sie mich.
Ach Evi, nimm noch ein Stück Kuchen.
Und noch eine Tasse Kaffee.
Und irgend•wann fragt eine von den den beiden:
Und was gibt es Neues bei dir, Evi?
Meistens gibt es nichts Neues.
Und ich sage: Alles ist wie immer.
Und sie nicken.
Aber dann gibt es etwas.
„Ich höre auf als Köchin zu arbeiten und
mache eine Um•schulung zur Fach•informatikerin“, sage ich.
„Das ist toll!“, sagt Oma Marie.
„Was ist das überhaupt für ein Beruf?“, sagt Oma Eva.
„Da werde ich am Computer arbeiten“, sage ich.
„Das ist ein Männer•beruf“, sagt Oma Eva.
„Nein, ist es nicht“, sage ich.
„Unsere Evi will das aber lernen“, sagt Oma Marie.
„Das ist keine gute Idee“, sagt Oma Eva.
„Doch, das ist eine sehr gute Idee“, sagt Oma Marie.
„Nein, nein, denk darüber nach, Evi“, sagt Oma Eva.
„Evi hat sich schon entschieden“, sagt Oma Marie.
„Sie wird es nicht schaffen“, sagt Oma Eva.
Dann dreht sie sich zu mir.
Schaut mir in die Augen und sagt:
„Kind, das ist zu schwer für dich.“
Ich hasse es, wenn sie mich Kind nennt.
Ich habe es früher nicht gemocht,
als ich noch Kind war.
Ich bin schon lange kein Kind mehr.
Und ich hasse es.
Das ist zu schwer für dich.
Du wirst es nicht schaffen.
Das sagt Oma Eva immer.
Auch als ich die Aus•bildung zur Köchin angefangen habe.
Das war nicht mein Traum•beruf.
Und ich habe es geschafft.
Fehlt nur noch:
Dann wirst du später traurig sein.
Und dann sagt sie es:
„Du wirst es nicht schaffen und später traurig sein.“
Ich bin aber jetzt gleich traurig.
Weil sie so etwas sagt.
„Willst du denn traurig sein?“
Was für eine blöde Frage.
Natürlich nicht.
Niemand will traurig sein.
Also, ich kenne keinen, der traurig sein will.
Auf so eine Frage antworte ich nicht.
„Was sagt den Frank dazu?“, fragt Oma Eva.
„Er findet es toll“, sage ich.
„Naja, der findet alles toll“, sagt sie.
Das stimmt gar nicht.
Frank findet nicht alles toll.
Er sagt was er nicht gut findet.
Und warum, das sagt er auch.
Ich bin sauer und will nach Hause.
„Ich muss los“, sage ich.
Ich verabschiede mich schnell.
Nie wieder werde ich mich mit den beiden treffen.
Oder ich treffe mich nur mit Oma Marie.
Aber das denke ich jedes Mal.
Nächste Woche besuche ich sie doch.
Wir sitzen dann wieder zusammen.
Und trinken Kaffee und essen Kuchen.

„Wie war es?“, fragt Frank als ich zu Hause an•komme.
„Nicht so gut“, sage ich traurig.
Ich sage ihm nicht, dass es schlimm war.
So schlimm, wie lange nicht mehr.
Frank umarmt mich.
In seinen Armen ist es schön und warm.
Ich fühle mich immer besser.

Meine Um•schulung beginnt.
Mama und Papa fragen oft nach,
was ich lerne und ob es schwer ist.
Es ist nicht schwer und es macht Spaß.
Und ich frage mich trotz•dem:
War es richtig als Köchin aufzuhören
und etwas Neues zu lernen?
Etwas ganz anderes.
Ich rede mit Frank darüber.
„Und wenn mir später Informatik nicht mehr gefällt?“
„Dann hörst Du auf und arbeitest wieder als Köchin.“
Als Köchin war ich nicht un•glücklich.
Aber richtig glücklich war ich auch nicht.
In der Küche ist es heiß und laut.
Die Töpfe sind schwer.
Schnell brennt etwas an oder kocht über.
Aber man ist immer in Bewegung.

Die Um•schulung gefällt mir.
Ich kann mir alles super gut merken.
Trotzdem frage ich mich manchmal:
Wird es mir in dem Beruf immer gefallen?

Wenn ich still bin,
weil ich viel nachdenke,
schreibt mir Frank kleine Zettel.
Ich finde sie überall in der Wohnung.
Sie haben verschiedene Formen.
Herz, Wolke, Sonne und runde Obst•sorten.
Apfel, Orange, Zitrone,
Mal nenne ich sie: Meine Mut-Zettel.
Ein anderes Mal: Meine Glück-Zettel.
Sie helfen immer.
Unter meinem Kopfkissen:
Ich denke an Dich, mein Sonnenschein.
Wenn Frank an mich denkt, scheint für mich die Sonne.
Auf der Mikro•welle:
Das ist Dein Tag, meine Liebste.
An solchen Tagen gelingt mir alles.
Unter der Kaffee•dose:
Du bist so klug, meine schöne Eva-Marie.
Und die Auf•gaben lösen sich wie von selbst.

Ich habe viel über Oma Eva nachgedacht.
Und über ihr Verhalten.
Viel mehr als über Oma Marie.
Oma Marie ist lieb und bei ihr ist alles gut.
Ich brauche ein wenig länger,
Menschen richtig zu verstehen.
Mit den Menschen ist es nicht einfach.
Und mit dem was sie tun.
Und warum sie es tun.
Ich verstehe nur Frank.
Und Frank versteht mich.

Meine Omas treffe ich immer noch oft.
Aber nicht mehr jede Woche.
Meine Oma Eva ist so, wie sie ist.
Sie wird sich nicht ändern.
Sie ist eine Pessimistin.
Solche Menschen glauben nicht an das Glück.
Die Optimisten sind für sie Dumm•köpfe.
Nur weil sie an das Gute glauben.
Für Oma Eva ist Oma Marie eine Optimistin.
Mit der Zeit ist mir einiges klar geworden.
Oma Eva will nicht, dass sich etwas ändert.
Alles soll so bleiben, wie es ist.
Dann fühlt sie sich sicher.
Dabei ändert sich alles von selbst.
Ob sie das will oder nicht.

Die Zeit vergeht.
3 ganze Jahre sind um.
Meine Um•schulung ist zu Ende.
Nur noch die Prüfung.
Dann werde ich Fach-Informatikerin.
Am Tag meiner Abschluss•Prüfung.
Kein Zettel am Kühl•schrank.
Auch kein Zettel in der Kaffee•tasse.
Wenn ich nach ihnen nicht schaue,
finde ich die Zettel überall.
Überraschung beim Schuhe anziehen:
Mut-Zettel in meinen rechten und
Glück-Zettel in meinem linken Schuh.
Soll ich die Zettel drin lassen und die Schuhe anziehen?
Nein, ich nehme die Zettel heraus.
Dann ziehe ich meine Lieblings•Schuhe an.
Ich verlasse unsere Wohnung.
Ich gehe zur Prüfung.
Mit Glück und Mut in der Tasche.

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4Kommentare

  • Alina B.
    19.03.2021 19:20 Uhr

    Süße Geschichte über den Mut, etwas Neues zu versuchen. Hat mich begeistert. Schön.

  • Maja Kersting
    19.03.2021 19:27 Uhr

    Der Titel macht neugierig. Der Text ist schön. Familie ist wichtig. Aber die junge Frau ist mutig. Sie geht ihren Weg. Das fand ich gut.

  • René
    19.03.2021 19:29 Uhr

    Wunderbar. Schöner Text.

  • Ines Buhl
    21.03.2021 19:58 Uhr

    Daumen nach oben. Toll!

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