Liebe muss man fühlen
von Jonas Kleindienst
Es ist November.
Es regnet.
Und Leon ist traurig.
Er fühlt sich allein. Dabei ist er es gar nicht.
Da ist Thomas. Und Thomas hilft immer.
„Was ist los?“, fragt Thomas.
Doch Leon weiß es nicht.
“Weiß nicht, gibt es nicht”, sagt Pascal.
Pascal ist auch da. Und Pascal akzeptiert keine Probleme.
„Es muss doch einen Grund geben“, sagt Pascal.
„Ist etwas passiert?“, fragt Thomas.
Leon schüttelt den Kopf.
Nichts ist passiert.
Alles ist wie immer.
Vielleicht ist das das Problem.
„Dann fehlt dir bestimmt etwas“, sagt Pascal.
Leon zuckt die Schultern.
„Was fehlt dir denn?“, fragt Thomas.
„Ich weiß es nicht,“ sagt Leon.
Doch natürlich weiß es Pascal.
Behauptet er.
“Dir fehlt eine Freundin!”, sagt Pascal.
Leon erschrickt.
Stimmt das?
“Na klar!”, sagt Pascal.
“Es wird Winter und kalt. Wer möchte da schon alleine sein?”
Vielleicht hat Pascal Recht.
Leon fühlt sich ja wirklich allein.
Aber fehlt ihm eine Freundin?
Daran hat er überhaupt noch nicht gedacht.
Fragend sieht Leon Thomas an.
Thomas kennt ihn am besten.
Von Anfang an kannte er ihn am besten.
Thomas weiß meistens was los ist.
Als könnte er Gedanken lesen.
Doch das ist diesmal gar nicht so leicht.
Leon weiß ja noch nicht mal selbst, was los ist.
Thomas sieht ihn nachdenklich an.
Dann nickt er.
„Ich glaube, Pascal hat Recht”, sagt er.
“Niemand ist im Winter gerne allein. Etwas Liebe würde dir gut tun.”
„Sag ich doch!“, ruft Pascal.
Er freut sich, dass ihm Thomas Recht gibt.
Das passiert selten.
“Dir fehlt ne Freundin. Ist doch klar. Du willst die große Liebe. Knutschen, Händchenhalten und so weiter.”
Jetzt glaubt es auch Leon.
Das ist es. Deshalb ist er so traurig.
Er braucht jemanden, der ganz zu ihm gehört.
Kein Kumpel oder Freund. Eine echte Liebe.
Doch wie soll er die finden?
“Keine Sorge”, sagt Pascal.
“Ich kenne mich da aus. Ich helfe dir, eine Frau zu finden!“
Und so fängt die ganze Sache an.
„Auf welche Frauen stehst du denn so?“, will Pascal als Erstes wissen. Leon weiß es nicht. Komisch. Aber es fällt ihm niemand ein.
„Sandra von der Arbeit“, sagt Pascal.
„Die ist doch ganz nett.“
Leon nickt. Das stimmt.
Sandra ist ganz nett.
„Pass auf“, sagt Pascal. “Ich habe einen Plan.”
“Sowas kann man nicht planen”, wendet Thomas ein.
Doch Pascal lässt sich nicht reinreden.
“Morgen bei der Mittagspause”, sagt er zu Leon.
“Da nutzt du die Gelegenheit. Du redest mit ihr. Dann merkst du schon, ob es knistert.“
„Ob es knistert?“, fragt Leon.
„Na du weißt schon“, sagt Pascal.
„Ob es knallt. Ob das Blut schießt. Ob du heiß wirst. TATATAAAA. Das große Feuerwerk.“
„Ob du was fühlst“, erklärt Thomas. „Liebe muss man fühlen. Und deswegen kann man so etwas auch nicht planen.”
Doch den Plan gibt es jetzt.
Und Leon hält sich an ihn.
Am nächsten Tag wartet er auf die Mittagspause.
Dann geht er zu Sandra.
Er redet mit ihr.
Den ganzen Mittag.
Pascal passt auf, dass niemand stört.
Es ist schließlich sein Plan.
Und der soll gelingen.
Nach der Arbeit kommen Thomas und Pascal zu Leon.
“Wie war es?”, erkundigt sich Thomas.
„Ganz nett“, sagt Leon.
„Ist etwas passiert?“, fragt Pascal.
„Was soll denn passiert sein?“, fragt Leon erschrocken.
„Na du weißt schon“, sagt Pascal.
„Hat es geknistert? Hat es Boom gemacht? Ist etwas zwischen euch gelaufen?“
„Nein“, sagt Leon und schüttelt den Kopf.
„Ich glaube nicht.“
„Mist“, sagt Pascal. „Dann hast du es wohl falsch gemacht.“
“Ach was”, sagt Thomas. “So etwas kann man einfach nicht planen.”
“Über was habt ihr denn geredet?”, will Pascal wissen.
„Über die Arbeit“, sagt Leon. „Und über Josch. Den Neuen.“
Pascal langt sich an den Kopf.
„Na toll. Über Arbeit und über einen Anderen. Wie soll es da denn knistern?“
Leon versteht es nicht.
Was hätte er denn sonst sagen sollen?
“Vielleicht kann ich es einfach nicht”, flüstert er.
Thomas legt ihm eine Hand auf die Schulter.
“Hör nicht auf Pascal”, sagt er.
“Wenn es passt, geht das von ganz alleine. Dann kommen schon die richtigen Worte.”
“Welche Worte?”, fragt Leon. “Was sagt man dann?”
„Ich zeig es dir“, sagt Thomas zu Leon.
Dann lächelt er ihn an.
Er schaut ihm in die Augen.
„Du hast schöne Augen“, sagt er.
„Sie leuchten so grün“, sagt er.
„Ich mag dein schüchternes Lächeln“, sagt er.
„Du bist etwas besonderes“, sagt er.
Leon wird ganz warm ums Herz.
Ihm fällt auf, dass auch Thomas schöne Augen hat.
Er mag es auch, wenn Thomas lacht.
Er versteht jetzt, wie es knistern kann.
Er möchte nun auch etwas zu Thomas sagen.
Doch Pascal ist schneller.
„Ganz genau“, sagt Pascal und lenkt Leon von Thomas Augen ab.
Plötzlich ist das Knistern wieder weg.
Was Worte doch ausmachen können.
“So geht es”, sagt Pascal nochmal. “So machen wir es.”
„Du musst etwas Nettes sagen. Persönlich werden. In die Augen schauen. Dann klappt es das nächste Mal!”
“Das nächste Mal?”, fragt Leon.
„Na klar“, sagt Pascal.
„Sandra war nur der erste Versuch. Morgen probieren wir es mit Selma.“
Thomas schüttelt den Kopf.
„Du kannst doch nicht irgendwelche Frauen für Leon aussuchen“.
Doch Leon ist einsam.
Und er kennt jetzt die Macht der Worte.
Selma ist genauso nett wie Sandra.
Warum also nicht?
Und so geschieht es am nächsten Tag.
In der Mittagspause geht Leon zu Selma.
Pascal passt auf, dass sie nicht gestört werden.
Leon möchte, dass es knistert.
Er will etwas Besonderes zu Selma sagen.
Doch erstmal fällt ihm nichts ein.
Dann erinnert er sich an Thomas Worte.
Er schaut Selma an.
Nicht in die Augen. Das traut er sich nicht.
Mehr so auf den Mund.
Dann denkt er an Thomas. Und wiederholt seine Worte.
„Du hast schöne Augen“, sagt er.
Selma lacht.
„Sie leuchten so grün“, sagt Leon.
Selma lacht noch lauter. Sie prustet los.
„Ich mag dein schüchternes Lächeln“, sagt Leon fast.
Dann merkt er, dass das Unsinn ist.
Selma hat kein schüchternes Lächeln.
Sie lacht immer laut und wild.
Und sie lacht ihn gerade aus.
Sie hat gar keine grüne Augen.
Er hat sich blamiert.
Schnell wechselt er das Thema.
Und redet über die Arbeit.
Natürlich knistert es wieder nicht.
Pascal ist unzufrieden mit Leon.
„Du kriegst es einfach nicht hin“, klagt er.
Leon fühlt sich schlecht.
Pascal hat wohl Recht.
Er kann es einfach nicht.
Doch Thomas ist anderer Meinung.
„Ach was!“, sagt er. „Du findest schon noch deine Liebe.”
„Du bist vielleicht kein Mann der Worte“, gibt Thomas zu.
„Aber du hast andere Qualitäten.“
„Dann werden wir die finden!“, ruft Pascal.
Auch er will nicht aufgeben.
Schließlich war das Alles seine Idee.
Und Thomas glaubt an Leon.
Also gibt auch Leon nicht auf.
Am Freitag Abend ist Tanzabend.
„Eine bessere Gelegenheit gibt es nicht“, sagt Pascal.
„Aber ich kann nicht tanzen“, sagt Leon.
„Das ist nicht schwer“, sagt Thomas.
„Ich zeige es dir.“
Thomas nimmt mit seiner linken Hand die rechte Hand von Leon.
Dann legt er seinen rechten Arm um Leon.
Er zieht ihn ganz nah an sich heran.
So nah, dass Leon Thomas Herz spürt.
“Dann mal los”, ruft Pascal.
Und Thomas legt los.
Ein Schritt nach rechts.
Ein Schritt nach links.
Hin und her wippt er.
Und Leon macht mit.
Und schon tanzen sie.
Ganz einfach.
„So führt man jemanden beim Tanzen“, erklärt Thomas.
„Einfach hin und her und her und hin. Mehr muss man gar nicht machen.“
Leon macht das Spaß.
Er summt eine Melodie.
Thomas lacht.
Für Leon hätte es noch lange so weiter gehen können.
Doch da war ja noch Pascal.
„Halt“, ruft Pascal.
„Das ist ja alles gut und schön. Doch das reicht nicht.“
Thomas und Leon stoppen.
Fragend schauen sie Pascal an.
„Freitag tanzt Leon mit einer Frau“, erklärt Pascal.
„Und da läuft es anders.“
„Der Mann führt die Frau“, erklärt Pascal.
„Leon muss das also lernen.“
„Heutzutage ist das doch anders“, widerspricht Thomas.
„Heute führen auch Frauen“.
„Manchmal vielleicht“, sagt Pascal.
Doch er gibt nicht nach.
Leon und Thomas müssen die Rollen tauschen.
Diesmal legt Leon seinen Arm um Thomas.
Dann nimmt er mit seiner linken Hand die rechte Hand von Thomas.
Und jetzt?
„Leg einfach los“, flüstert Thomas.
Und Leon legt los.
Er schwingt nach links.
Dann schwingt er nach rechts.
Thomas schwingt mit.
Es klappt.
„Prima“, sagt Pascal. „Du bist bereit.“
Dann ist Freitag Abend.
Tanzabend.
Leon, Thomas und Pascal stehen an der Bar und trinken Bier.
Ein paar Menschen tanzen.
Leon ist nervös.
Es ist seine Chance.
Da hinten ist Sandra.
Sie tanzt gerne.
Und Selma ist auch da.
Doch irgendwie will er gar nicht.
Er möchte lieber hier bei Thomas und Pascal sein.
Vielleicht ist das alles was er braucht.
Vielleicht war das ein Fehler mit der Liebe.
Vielleicht braucht er gar keine Frau?
Doch Pascal lässt nicht nach.
„Na komm schon“, sagt er.
„Jetzt oder nie. Lass es knallen, Löwe. Schnapp dir eine heiße Braut.“
Pascal ist schon beim dritten Bier und das merkt man.
Doch es hilft ja nichts.
Leon ist einsam.
Er will die Liebe.
Also gibt er sich einen Ruck.
Selma lacht ihn bestimmt wieder aus.
Also geht er zu Sandra.
„Ja“, sagt Sandra.
Sie hat Lust zu tanzen.
Und sie tanzen.
Es läuft nicht so gut wie mit Thomas.
Leon versteht nicht, was Sandra will.
Will sie führen oder geführt werden?
Einmal tritt er Sandra sogar auf die Füße.
Doch Sandra ist nicht böse.
Sie lacht und tanzt weiter mit ihm.
Leon passt danach besser auf.
Es klappt schon besser.
Es könnte also alles gut sein.
Ist es aber nicht.
Irgendetwas stimmt nicht.
Es knistert nicht.
Schon wieder nicht.
Leon fühlt nichts.
Und plötzlich bleibt Sandra stehen.
„Huhu. Hier bin ich“, sagt sie.
Was soll das denn?
„Weiß ich doch“, sagt Leon.
„Na, warum guckst du dann immer woanders hin?“, fragt Sandra.
„Wohin denn?“, fragt Leon zurück.
„Na was weiß ich“, sagt Sandra. „Nach da hinten halt.“
Es stimmt.
Jetzt merkt es auch Leon.
Er hat immer wieder an die Bar geschaut.
Zu Pascal und Thomas.
„Tut mir leid“, sagt er. „Jetzt bin ich ganz bei dir.“
„Ganz bei mir“, wiederholt Sandra.
„Das hört sich schön an. Aber was willst du eigentlich von mir?“
„Was ich von dir will?“, fragt Leon erschrocken.
“Na, ist doch seltsam”, sagt Sandra.
“Wir kennen uns ja schon lange. Aber plötzlich willst du mit mir reden. Und sogar mit mir tanzen!”
Was soll Leon jetzt sagen?
Dass er die Liebe sucht?
Dass er ihre Augen mag?
Braun. Sie sind braun.
Nicht grün.
“Erst habe ich ja gedacht, du willst was von mir”, fährt Sandra fort.
“Doch das ist Blödsinn. Du stehst nicht auf mich.”
„Ich, ich“, Leon stammelt.
Er weiß nicht, was er sagen soll.
Er hat Angst, sich zu blamieren.
„Klar steh ich auf dich“, platzt es schließlich aus ihm heraus.
Doch stimmt das?
Er weiß es selbst nicht.
„Na, das werden wir ja sehen“, sagt Sandra.
Und plötzlich gibt sie ihm einen Kuss.
Sie drückt ihre trockenen Lippen gegen seine.
Es passiert.
Leon ist überfordert.
Hat er endlich seine Liebe gefunden?
Ist das das große Glück?
Doch dann weicht er zurück.
Es knistert nicht.
Er will gar nicht, dass Sandra ihn küsst.
„Hab ich mir doch gedacht“, sagt Sandra.
„Du stehst gar nicht auf mich. Dann kannste auch mit jemand anderem tanzen.“
Und dann lässt sie ihn einfach stehen.
Ganz alleine auf der Tanzfläche.
Jetzt ist Leon erst recht einsam.
Was ist bloß los mit ihm?
Was macht er falsch?
Warum fühlt er nichts?
Traurig geht Leon zurück zu Pascal und Thomas.
Pascal merkt nicht, wie Leon sich fühlt.
Er jubelt.
„Mannoman, alter Hengst“, ruft er.
„Sie hat dich geküsst. Ich habe es genau gesehen. Es hat Bumm gemacht!“
Doch Leon schüttelt nur traurig den Kopf.
„Nein“, sagt er. „Nichts hat Bumm gemacht.”
“Es hat nicht geknistert. Ich habe nichts gefühlt. Ich glaube, ich kann nicht lieben.“
Er ist jetzt richtig traurig.
Thomas nimmt ihn in den Arm.
„Das ist doch Blödsinn“, flüstert er.
„Natürlich kannst du lieben. Man kann das nur nicht planen. Sandra war nicht die Richtige.“
„Es gibt genug andere Frauen“, stimmt Pascal zu.
„Ja“, sagt Thomas, „doch nicht nur Frauen.“
Dann schaut er Leon in die Augen und schon geht es Leon besser.
Und dann.
Dann küsst Thomas Leon.
Und es macht Bumm.
Und es knistert.
Und sogar Pascal hält mal seine Klappe.
Jetzt fühlt Leon alles.
Die Schmetterlinge.
Die Liebe.
Das große Feuerwerk. TATATAA.
Als sich ihre Lippen wieder lösen, lacht Leon.
Und Thomas lacht.
Selbst Pascal lacht.
„Liebe kann man nicht planen“, sagt Thomas.
„Liebe kann man noch nicht mal suchen.“
„Liebe findet einen“, sagt Thomas.
“Ja”, sagt Leon.
“Liebe muss man fühlen.”