Frankfurter Kranz Vorlesen

24. Apr 2020Doreen Kuttner
Ein Frankfurter Kranz, Bild von Hans Braxmeier

Frankfurter Kranz

von Marlies Kalbhenn

Apfel-Kuchen, Pflaumen-Kuchen, Rührkuchen,
Käse-Torte, Schokoladen-Torte, Zitronen-Torte:
Max mag sie alle.
Aber am allerliebsten mag er Frankfurter Kranz.
Wer Frankfurter Kranz kennt,  weiß, dass er eine Kalorien-Bombe ist.
Oder besser: eine Butter-Bombe.
Sieben Jahre habe ich mich geweigert, Frankfurter Kranz zu backen.
Nicht, weil er so butter-bombig ist.
Sondern, weil ich nicht backen kann.
Wenn Max und ich Lust auf Kuchen und Torte haben,
kaufen wir uns Kuchen und Torte.

Eine Woche vor Max’ 30. Geburtstag schickte mir
meine Freundin Erika eine Backform. Und ein Briefchen.
In dem Briefchen stand:
„Liebe Moni, sieben Jahre bist du jetzt mit Max verheiratet.
Und noch nie hast du einen Frankfurter Kranz für ihn gebacken. Obwohl er ihn so gern isst.
Denk daran, Liebe geht auch durch den Magen.“
Zum Schluss schrieb Erika:
„Frau kann im Leben vieles lernen. Auch backen. Wenn sie will.“
Diesmal wollte ich.

Am Tag vor Max’ Geburtstag machte ich mich an die Arbeit.
Ich brauchte einen ganzen Vormittag,
um den Frankfurter Kranz herzustellen.
Die Schweißperlen, die ich dabei vergossen habe:
Ich habe sie nicht gezählt!
Aber als er fertig war, war ich ziemlich stolz:
stolz auf meinen ersten Frankfurter Kranz!
Zwar sah er nicht so schön aus
wie die Frankfurter Kränze in unserer Bäckerei.
Doch Max gefiel er. Er gefiel ihm sogar so sehr,
dass er ihn sofort anschneiden und probieren wollte.
Das ließ ich nicht zu.
Ich wollte meinen ersten Frankfurter Kranz in seiner ganzen
prallen Schönheit den Geburtstags-Gästen zeigen!

Am Geburtstags-Morgen stellte ich den Frankfurter Kranz
auf den Esstisch im Wohnzimmer. Gut sah er aus. Richtig gut sogar!
Ja, bis 10 Uhr sah mein selbstgebackener Frankfurter Kranz
so was von gut aus! Wow!
Um 10 Uhr gab ein junger Mann ein Geschenk für Max ab.
Es steckte in einer großen Schachtel.
Max öffnete sie und – machte große Augen.
Die Schachtel enthielt nämlich einen Frankfurter Kranz.
Er sah genauso aus wie die Frankfurter Kränze
in unserer Bäckerei. Er stammte auch aus der Bäckerei.
Max’ Schwester Brigitte hatte ihn dort bestellt.
Brigitte wohnt in Frankfurt. Jedes Jahr bestellt sie zu Max’ Geburtstag einen Frankfurter Kranz in unserer Bäckerei.
Wieso hatte ich das vergessen?
Der Bäckerei-Kranz sieht nicht nur besser aus als meiner,
er schmeckt bestimmt auch besser, dachte ich.
Aber die Hoffnung, heißt es, stirbt zuletzt.
Hatte ich gerade laut gedacht? Max nahm mich in die Arme.
„Dein Frankfurter Kranz ist der beste“, sagte er.
„Weil du die Beste bist, mein Schätzchen!“
Was für eine schöne Liebes-Erklärung!
Noch dazu im verflixten siebten Ehejahr!
Vor Freude wurde mir ganz heiß.
Da unser Kühlschrank voll von anderen Kuchen war,
stellte ich Brigittes Frankfurter Kranz auf den Balkon.

Um 11 Uhr kamen unsere drei neuen Nachbarinnen.
Sie überreichten Max eine große Schachtel.
Die kam mir bekannt vor.
„Süßes für den süßen Knaben“, kicherten sie verschämt.
Dabei sahen sie Max an, als seien sie, alle drei,
ein bisschen verliebt in ihn.
Während der „süße Knabe“ den Damen aus den Mänteln half,
ging ich in die Küche. Dort nahm ich den dritten Frankfurter Kranz
aus der Schachtel und stellte ihn auf einen Teller.
Danach versteckte ich in Windes-Eile meinen Frankfurter Kranz
unter dem Sofa und stellte die Nummer drei auf den Esstisch.
Ich wollte die reizenden alten Damen nicht enttäuschen.
Sie sollten glauben, ihr Frankfurter Kranz wäre der einzige.
Und das glaubten sie dann auch.
Sie machten es sich auf dem Sofa bequem, tranken Eierlikör und aßen Pralinen.
Und unterhielten sich fröhlich und mit vollem Mund mit Max,
dem „ach, so süßen Knaben“.
Dass ich stumm dabei saß, merkten sie nicht.
Ich dachte an die vielen Stunden, die ich in der Küche zugebracht hatte, um meinen Frankfurter Kranz zu fabrizieren.
Und das nur, um ihn jetzt vor den Blicken unserer Gäste
unter dem Sofa verstecken zu müssen.
Was für eine vergebliche Liebesmüh!
Ich dachte auch an die beiden Frankfurter Kränze
auf dem Balkon und auf dem Esstisch.
Und an die Kuchen und Torten im Kühlschrank dachte ich.
Wer, bitteschön, sollte das alles essen?
Schon bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht.

Der erste Gast am Nachmittag war meine Freundin Gundi.
„Diesmal ist mir nichts anderes eingefallen“,
trompetete sie schon im Treppenhaus.
„Selbstverständlich selbstgebacken“, sagte sie,
als sie Max ihren Frankfurter Kranz überreichte.
Max fuhr sich mit der Zunge genüsslich über die Oberlippe.
Nun war er im Besitz von vier Frankfurter Kränzen. Unglaublich!
Natürlich sollte auch Gundi glauben,
dass ihr Geschenk einmalig war.
„Ich muss schnell den Tisch fertig decken“, sagte ich zu ihr.
„Geh du in die Küche. Und such den schönsten Tortenteller
für den schönsten Frankfurter Kranz aller Zeiten aus.“
Den Tisch im Wohnzimmer hatte ich längst gedeckt.
Ich musste nur – rasch, rasch – den Frankfurter Kranz
der Nachbarinnen verschwinden lassen.
Ich schob ihn unters Sofa neben mein eigenes Backwerk,
das nur ungefähr so aussah wie ein Frankfurter Kranz.

Max stellte Gundis Frankfurter Kranz auf den Tisch.
„Sieh mal, Gundi“, log ich, ohne rot zu werden.
„Ein Frankfurter Kranz hat uns in diesem Jahr noch gefehlt.
Jetzt erst ist die Kaffeetafel perfekt.“
Gundi strahlte. Max strahlte. Ich bemühte mich zu lächeln.
Gut, dass Gundi ihren Frankfurter Kranz nicht
mit meinem eigenen vergleichen konnte.
Ihrer sah nämlich wirklich super aus. Meiner dagegen …
Schwamm drüber. Was zählt, ist der Geschmack,
nicht das Aussehen. So tröstete ich mich.
Ich zählte im Stillen noch einmal nach:
„Ein Frankfurter Kranz auf dem Balkon,
zwei Frankfurter Kränze unter dem Sofa,
ein Frankfurter Kranz auf dem Tisch,
macht zusammen vier. Vier Frankfurter Kränze.
Morgen machen Max und ich ein Café auf, dachte ich.
Und erfand auch sofort einen Namen:


Max und Monis
Frankfurter-Kranz-Café


Frankfurter Kränze fünf bis sieben brachten
Meyers, Müllers und Schmidts mit.
Als sie Gundis Kranz sahen, sagten sie:
„Wir hatten gedacht …“
„Weil Max doch so gern …“
„Nicht, dass ihr denkt …“
„Was …?“, fragte ich.
„Nicht, dass ihr denkt, uns wäre nichts anderes eingefallen“,
sagten die Meyers.
„Aber nein“, sagte Max, „das denken wir doch nicht.
„Nicht wahr, mein Schatz?“
Er legte mir den Arm um die Schultern.
Wenn du wüsstest, was ich denke, dachte ich.
Laut sagte ich: „Max hat ganz recht. Das denken wir nicht.
Wir denken, dass ihr genau das richtige Geschenk mitgebracht habt.
Eine größere Freude konntet ihr Max gar nicht machen.“
Frankfurter Kränze fünf bis sieben kamen in die Küche.
„Da ist es kühler“, sagte ich. „Aber keine Angst,
auch eure Kränze werden nicht alt. Dafür wird Max schon sorgen.“
Max fuhr sich wieder mit der Zunge über die Oberlippe.
Dann meinte er: „Genug geredet. Jetzt wird endlich gegessen.“

Meyers, Müllers und Schmidts aßen wenig.
Sie mussten alle –  egal ob Mann, ob Frau – auf ihre Linie achten.
Deshalb aßen sie nur „die leichten Sachen“:
die Obsttörtchen und die Joghurtschnitten.
Und dabei sprachen sie von nichts anderem als von der Diät,
die sie gerade machten.
Meine Freundin Gundi ist Diabetikerin.
Sie aß nur eins von den Diabetiker-Törtchen,
die ich für sie gekauft hatte.
Frankfurter Kranz aßen nur Max und ich.
Plötzlich hasste ich sie alle:
die Meyers, die Müllers, die Schmidts,
meine Freundin Gundi, die drei Nachbarinnen,
Max’ Schwester Brigitte, meine Freundin Erika
und mich selbst auch.
Ja, mich selbst hasste ich auch.
Am meisten hasste ich Max, der sich gerade das
fünfte Stück Frankfurter Kranz auf den Teller lud.

Als wir am Abend endlich allein waren,
besaßen wir noch sechs komplette Frankfurter Kränze.
Den Rest von Gundis Kranz aßen Max und ich,
während wir die Tagesschau guckten.
Max aß mit Lust. Ich aß aus Frust.
Wir hatten beide eine unruhige Nacht.

Am nächsten Morgen beschloss ich,
kein Stück Frankfurter Kranz mehr zu essen.
Nicht einmal eins von meinem eigenen.
Nicht so Max.
Die nächsten sechs Tage ernährte er sich nur von Frankfurter Kranz:
Frankfurter Kranz am Morgen,
Frankfurter Kranz am Mittag,
Frankfurter Kranz am Abend.
Kurz vor dem allerletzten Bissen streikte sein Magen.
Deshalb aß er in der folgenden Woche nur Zwieback.
Und trank nur schwarzen Tee.
Im Sommer machten wir beide eine Fastenkur.
Bevor wir nach Hause fuhren, musste Max mir versprechen,
in Zukunft nie mehr Frankfurter Kranz zu essen.

Einen Tag nach unserer Rückkehr besuchte uns Gundi.
„Ich habe euch vermisst“, sagte sie.
In der linken Hand schwenkte sie eine Flasche Sekt,
auf der rechten Hand balancierte sie eine Schachtel,
die mir bekannt vorkam.

Während Max und ich Frankfurter Kranz essen
und Gundi an ihren Diabetiker-Keksen knabbert,
nehme ich mir vor, demnächst ein ernstes Gespräch zu führen:
Ein ernstes Gespräch mit Gundi und allen anderen
Freundinnen und Freunden, mit den drei alten Nachbarinnen
und mit Max’ Schwester.
In Zukunft, werde ich ihnen sagen, sollen sie sich andere
Geschenke für Max einfallen lassen.
Doch dann schaue ich Max an: Er macht so ein glückliches Gesicht
wie seit Wochen nicht mehr.
Seine Stirn ist glatt, alle Sorgenfalten sind verschwunden.
Gerade nimmt er sich das zweite Stück Frankfurter Kranz.
Süßer Schatz!
Plötzlich verstehe ich nicht mehr, dass ich Erikas Backform
am Tag nach Max’ Geburtstag weggeworfen habe.
Gleich morgen werde ich eine neue kaufen.
Und das mit dem „ernsten Gespräch“ verschiebe ich auf später.
Versprochen, Liebling!

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