Hallo,
mein Name ist Ruth.
Ich
wurde im Jahr 1929 in Westfalen geboren.
Wir
waren eine große Familie.
In
unserem Haus lebten Oma und Opa,
Mutter
und Vater,
drei
Jungen und drei Mädchen.
Ich
war das fünfte Kind.
Zu
Hause haben wir einen niederdeutschen Dialekt gesprochen.
Ein
Mix aus Deutsch und Niederländisch.
Meine
Großmutter kam aus den Niederlanden.
Für
die Liebe hatte sie ihre Heimat verlassen.
Ihre
neue Heimat war bei Großvater in Deutschland.
Oma
und Opa waren ein schönes Paar.
Ihre
Liebe war grenzenlos.
Oft
sagte meine Großmutter: „Egal woher wir kommen und wer wir sind.
Heimat
ist dort wo die Familie lebt.“
Wir
wurden nicht streng erzogen.
Religion
spielte in meiner Familie keine Rolle.
Wir
waren keine gläubigen Juden.
Egal
ob Christ, Moslem oder Jude.
Bei
uns waren alle Menschen willkommen.
Meiner
Mutter war die Bildung ihrer Kinder sehr wichtig.
Wir
lernten in jüdischen Schulen.
Auf
anderen Schulen wurden wir gehänselt und waren nicht erwünscht.
Die
Eltern meiner Freundin waren strikt dagegen, dass ihre Tochter mit einer Jüdin
spielte.
Warum
ihre Eltern so waren, konnte ich nie verstehen.
Es
war toll, wenn wir bei uns zu Hause heimlich spielen konnten.
Die
Stimmung gegen Juden wurde damals immer schlechter.
Wir
wurden überall benachteiligt.
Mit
dem Finger wurde auf uns gezeigt.
Es
war ein Tag im November als meine Kindheit zu Ende ging.
Ich
habe sehen müssen, wie Menschen unser Haus ausgeraubt haben.
Des
Weiteren wurden alle Fensterscheiben eingeschlagen.
Unsere
Bücher und Kunst sind in einem großen Feuer verbrannt worden.
Mein
Spielzeug wurde verbrannt.
Diese
Menschen waren schamlos.
Ich
habe geweint.
Wir
konnten uns nicht wehren.
Wir
waren sprachlos und machtlos.
Alle
hatten große Angst.
Hilfe
bekamen wir nicht.
Manche
Menschen haben geschrien: „Ihr Juden-Schweine.“
Synagogen
und jüdische Einrichtungen brannten lichterloh in ganz Deutschland.
In
dieser Nacht wurden wir heimatlos.
Heute kennen wir diese schrecklichen Taten unter den Namen Novemberpogrome von 1938.
Der
zweite Weltkrieg ab dem Jahr 1939 war der nächste Schock für unsere Familie.
Nun
mussten wir Deutschland schnell verlassen.
Juden
wurden verfolgt und verschleppt.
Unser
Ziel war Omas alte Heimat.
Ein
Jahr haben wir in den Niederlanden an der Nordsee gelebt.
Dort
haben wir am Strand Sandburgen bauen können.
Wir
Kinder konnten im Meer schwimmen.
Mit
anderen Kindern haben wir spielen können.
Das
Toben und Balgen war meine neue Freiheit.
Diese
ruhige Zeit habe ich genossen.
Eine
neue Heimat haben wir dort jedoch nicht finden können.
Wir
Juden wurden nun in ganz Europa verfolgt und verschleppt.
In
Omas alter Heimat waren wir auch nicht mehr sicher.
Eine
Lösung musste schnell gefunden werden.
Es
war klar, dass wir Europa verlassen müssen.
Oma
und Opa wollten die Nordsee jedoch nicht verlassen.
Wir
haben uns nie mehr gesehen.
Die
Flucht aus Europa hatte meiner Familie viel Geld gekostet.
Wir
mussten lange Strecken laufen und verschiedene Grenzen überwinden.
Wir
hatten oft Hunger, Durst und wurden krank.
Wir
waren traurig und wütend.
Mit
einem Schiff überquerten wir den Atlantik.
In
dieser Zeit habe ich oft von einer besseren Welt geträumt.
Ich
bin mit Peter Pan davon geflogen.
Mit
Moby Dick habe ich die Unterwasser Welt erforscht.
Die
Sterne am Nachthimmel habe ich gezählt.
Meine
älteren Geschwister gaben mir Sicherheit und Schutz.
Mit
meiner Mutter konnte ich schmusen und ihre Wärme spüren.
Mit
viel Hoffnung haben wir Amerika erreicht.
Ein
Onkel hat uns abgeholt.
New
York hat uns alle begrüßt.
Schnell
hatten wir neue Ausweise mit neuen Namen.
Wir
wurden Christen und wurden getauft.
Im
Herzen blieben wir jedoch Juden.
Nun
hatte meine Familie ein Geheimnis.
Unser Vater sagte: „Nun kann uns keiner mehr Juden-Schweine nennen.“
Das erste Jahr in
Amerika war schwierig.
Wir lebten in
einfachen Verhältnissen.
Meine Mutter
hatte als Musik-Lehrerin Geld verdient.
Unser Vater war
im Krankenhaus tätig.
Nun konnten wir
zur Schule gehen ohne gehänselt zu werden.
Niemand hat mit
dem Finger auf uns gezeigt.
Diese Freiheit
haben wir in Deutschland nicht gekannt.
Leider war unsere
Mutter oft traurig.
Ihr fehlte die
Heimat.
Sie wurde krank.
Nach
dem Krieg im Jahr 1945 hatten meine Eltern eine Entscheidung getroffen.
Sie
wollten zurück nach Deutschland.
Zwei
Jahre später sind wir von Amerika nach Deutschland geflogen.
Im
Flugzeug konnte ich nicht auf meinem Platz sitzen bleiben.
Ständig
musste ich zur Toilette, so unruhig war ich.
Ich
durfte sogar zum Kapitän nach vorne ins Flugzeug.
Nach
der Landung in Deutschland wurden wir von einer Tante abgeholt.
Es
war eine große Freude sie zu sehen, denn sie hatte den Krieg überlebt.
Wenig
später wollten wir unser altes Haus sehen.
Leider
war unser Haus dem Erdboden gleich.
Eine
neue Heimat haben meine Eltern in Nordrhein-Westfalen gefunden.
Mein
Vater hatte eine Arbeitsstelle im Katholischen Krankenhaus bekommen.
Seltsam,
wenn man bedenkt, dass er früher Jude war.
Sein
Geheimnis kannte keiner der Kollegen.
Meine
Mutter hatte an einer Grundschule arbeiten können.
Wir
haben das Wunder der Wirtschaft erleben dürfen.
Die
Geschäfte waren voller Waren.
Ein
roter Käfer war das erste Auto meiner Eltern.
Ein
großer Wunsch meiner Mutter war ein Fernsehgerät.
Wir
konnten uns dann täglich die Nachrichten anschauen.
Auch
eine Waschmaschine und der elektrische Herd haben das Leben erleichtert.
Selbst
heute noch lebt ein Teil meiner Geschwister in Amerika.
Sie
wollten nicht zurück nach Deutschland.
Ich
habe meine Heimat in Nordrhein-Westfalen gefunden, in der Nähe meiner Eltern.
Nach
meiner Ausbildung war ich auch im sozialen Dienst tätig.
Ich
habe einen netten Mann heiraten dürfen.
Mein
Ehemann wollte gerne in einer Kirche heiraten.
Diesen
Wunsch konnte ich ihm jedoch nicht erfüllen.
Denn
in meinem Herzen bin ich Jüdin geblieben.
So
sollte es auch bleiben.
Nun
bin ich eine alte Frau und habe mein Familien-Geheimnis gelüftet.
Des
Weiteren habe ich mit mir und meiner Heimat Frieden geschlossen.
Vor
langer Zeit sagte meine Großmutter: „Egal woher wir kommen und wer wir sind.
Heimat
ist dort wo die Familie lebt!“
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