Viel Mut habe ich nicht.
Vielleicht bin ich stur.
Aber ich bin nicht sehr mutig.
Ich gehe einfach nur zu meiner Arbeit.
Ich gehe immer den gleichen Weg.
Seit vielen Jahren gehe ich genau diesen Weg.
Und das soll auch so bleiben.
Ich mag meinen Arbeitsweg
An meinem Arbeitsweg stehen
viele Bäume.
Vögel singen.
Eich·hörnchen jagen sich.
Ich gehe auch durch einen
kleinen Park.
Dort joggen Leute.
Hunde rennen und bellen.
Und ich komme an einem Kiosk
vorbei.
Davor stehen Tische.
Leute reden und trinken
Kaffee.
Dort esse ich morgens immer ein Brötchen mit
Käse.
„Hallo!“ hier und „Hallo!“
da.
Wir kennen uns.
Die Neuen am Kiosk
Ich kam aus dem Urlaub
zurück.
Zwei Wochen war ich weg.
Ich war am Meer.
Und als ich wieder zur Arbeit
ging,
standen neue Leute am Kiosk.
Das ist jetzt ein paar Wochen her.
Die Neuen – das sind drei.
Zwei Frauen und ein Mann.
Ich glaube, sie sind so alt
wie ich.
Also ungefähr 40.
Sie haben einen Hund dabei.
Einen Hund mit Maulkorb.
Die drei lachen viel.
Sie lachen sehr laut.
Die Neuen reden auch sehr
laut.
Dadurch müssen alle mithören,
was sie sagen.
Die drei rauchen.
Ihre Zigaretten·stummel werfen
sie immer auf den Boden.
Und die Neuen sind die Einzigen,
die ihre Tassen stehen
lassen.
Alle anderen bringen Tasse
und Teller zurück in den Kiosk,
bevor sie gehen.
Das ist ja auch das Normale.
Sie sagen: „Hallo, Schwongo!“
Die drei trinken genau dann
Kaffee,
wenn ich am Kiosk ankomme.
Gleich am ersten Tag fing es
an.
Ich kam zum Kiosk, holte mein
Brötchen,
und die eine Frau sagte:
„Guck
dir die an!
Eine schwarze Mongo!
Das hab ich ja noch nie gesehen.
Wohin sollen wir dich denn zurück·schicken?
In die
Mongolei oder nach Afrika?“
Seitdem sagen sie Schwongo zu mir.
Das Wort haben sie erfunden:
Sie haben schw von schwarz
genommen
und ongo
von Mongo.
Jeden Morgen sagen sie: „Hallo, Schwongo!“
Und dann lachen sie laut.
Das N-Wort
Manchmal sagen sie das
N-Wort.
Ich schreibe das N-Wort hier nicht
auf,
denn es ist eine Beleidigung.
Noch schlimmer als Mongo.
Ich spreche das N-Wort auch
nie aus.
Aber:
Lesen Sie Regen rückwärts.
Dann wissen Sie,
welches Wort gemeint ist.
Die drei finden das sehr
witzig.
Ein Wort,
das man in beide Richtungen lesen
kann.
Vorwärts und rückwärts.
So wie Lager und Regal.
Oder wie ein und nie.
Aber ihr Lieblings·wortspiel
ist Regen und das N-Wort.
Wenn es regnet,
fragen sie mich:
„Na, läufst
du heute wieder rückwärts?
Du
Regen…“
Und dann benutzen sie das N-Wort.
Wie immer lachen sie dann.
Wie immer sehr laut.
Keiner sagt was
Keiner von den anderen sagt etwas.
Aber es lacht auch niemand mit.
Alle versuchen,
die drei Neuen nicht
anzusehen.
Wer mal nicht schnell genug
weg·geguckt hat,
grinst dann ein bisschen.
Manchmal steht plötzlich ein
Kaffee vor mir.
Mit einem kurzen Lächeln
hingestellt.
Manchmal ist mein Brötchen
schon bezahlt.
Das ist beides neu.
Ich glaube,
die Leute haben ein
schlechtes Gewissen.
Deshalb bekomme ich jetzt so
oft etwas spendiert.
Ich glaube,
die Leute wollen mir zeigen, dass
sie mich mögen.
Und deshalb trinke ich den
Kaffee dann auch,
obwohl ich Zitronen·tee viel
lieber mag.
Aber keiner sagt was.
Ich selber bin auch feige
Ich sage auch nichts.
Aber ich lasse mich auch
nicht vertreiben.
Das ist mein Arbeitsweg.
Ich gehe diesen Weg seit
vielen Jahren.
Und ich will ihn noch viele Jahre gehen.
Ich mag meinen Arbeitsweg.
Ich mag die Vögel in den
Bäumen.
Ich mag die Hunde im kleinen
Park.
Und ich mag den Kiosk mit den Tischen davor.
Das Brötchen mit Käse mag ich
nicht mehr so gern wie früher.
Aber ich esse es.
Jeden Morgen.