Am Schwimmbad
Ich stehe oben auf dem Sprungturm. Es war ganz einfach. Ich bin die Stufen hinauf gestiegen. Eine nach der anderen. Alle haben geklatscht. Alle haben gesagt: Du bist mutig! Das hat mich stolz gemacht. Ich fühle mich groß und stark. Ein bisschen wie der Held in meinem Lieblingsfilm. Ich habe meine neue Badehose an. Sie ist blau wie der Himmel hier oben. Fast kann ich die Wolken berühren.
Ich gehe ganz nach vorn auf das Sprungbrett. Jetzt kann ich das Wasser sehen. Es ist auch blau. Aber viel viel dunkler als der Himmel. Irgendwie tief blau. Irgendwie gefährlich blau.
Auf einmal spüre ich Angst in meinem Bauch. Sie kneift und zwickt. Als hätte ich zu viel gegessen. Ich halte mich am Geländer fest. Meine Knie werden ganz weich. Meine Beine zittern wie Wackelpudding. Das ist sehr unangenehm. Ich halte die Luft an und schließe meine Augen. Dann schaue ich nach unten.
Alle schauen auf mich. Meine Freundin Kati winkt mir zu. Ein paar Leute rufen: Spring! Los jetzt! Mach schon! Das klingt ungeduldig. Plötzlich bin ich kein Held mehr. Ich will nicht mehr springen. Ich weiß, dann werden sie über mich lachen. Sie werden Angsthase rufen. Oder Schlimmeres.
Egal. Die sind da unten. Ich bin hier oben ganz allein. In meinem Körper. Der gehört nur mir. Das Wasser ist ein tiefes Loch. Es will mich schlucken. Meinen Mut hat es schon aufgefressen. Ich frage mich: Warum stehe ich hier? Es war nicht meine Idee. Es hat sich nur gut angefühlt, dass alle mich mutig fanden.
Ich atme tief durch. Das ist mein Körper. Das ist meine Entscheidung. Langsam steige ich die Stufen wieder hinunter. Mein Kopf wird ganz rot. Ich schäme mich. Aber meine Beine hören auf zu zittern. Ein paar Leute lachen. Doch Kati legt ihren Arm um meine Schultern. Sie flüstert mir ins Ohr: Ich hatte Angst um dich! Ja, sage ich, ich hatte auch Angst. In meinem Bauch. Schwer wie ein Stein. Da gibt mir Kati einen Kuss auf die Wange. Jetzt kribbelt mein Bauch. Und meine Knie werden schon wieder weich. Aber diesmal ist das sehr angenehm.
Manchmal ist es mutig zu springen. Manchmal ist es mutig, etwas nicht zu tun.
Wer weiß. Vielleicht probiere ich es irgendwann noch einmal. Das mit dem Springen. Wenn ich es wirklich will. Für mich allein. Und vielleicht ein bisschen für Kati.