Marie: Du bist Schauspieler beim Theater Thikwa. Was ist das Besondere an diesem Theater?
Konstantin: Das Besondere ist, dass dort Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten. Ihnen wird eine große Bühne geboten. Sonst haben sie nicht so die Chance dazu. In den großen Theatern hier in Berlin stehen sie kaum auf der Bühne. Bei Thikwa können die Zuschauer sehen: „Heh, die können ja was!“ Die Zuschauer bekommen vielleicht eine andere Sichtweise. Sie finden vielleicht heraus: „Oh, wir haben diese Leute unterschätzt. Es ist gut Menschen zu sehen, die eine Beeinträchtigung haben.“
Dalja: Welche Stücke bringt ihr auf die Bühne?
Konstantin: Das sind verschiedene. Wir machen Schauspiel, arbeiten aber auch mit Tanz oder Musik. Die Themen sind auch verschieden.
Marie: Wie heißen eure Stücke zum Beispiel?
Konstantin: Das aktuellste Stück, was wir jetzt aufführen, heißt Extremities. Dabei geht es um die Geburt. Es geht auch darum, wie sich ein Menschenleben entwickelt? Oder bei unserem letzten Stück ging es um Joseph Beuys. Darin fragen wir: Was ist Kunst? Muss Kunst perfekt sein oder kann Kunst auch anders sein? Oder es gibt Stücke, wie Merkel. Da geht es um Angela Merkel. Es geht um ihre Jahre als Kanzlerin und was sie gemacht hat. Wir fragen in dem Stück auch: Warum hatten Menschen mit Beeinträchtigung kein Wahlrecht?
Dalja: Sind das alles neue Stücke? Viele Theater spielen ja alte Stücke von berühmten Schriftstellern. Aber bei euch werden die Stücke immer neu erfunden, oder?
Konstantin: Ja, bei uns sind die Stücke immer neu. Natürlich gibt es auch Wiederaufführungen. Aber die meisten Stücke sind neu.
Marie: Wer erfindet die Stücke?
Konstantin: Es sind Leute von außerhalb oder von Thikwa. Leider waren es bisher keine Menschen mit Beeinträchtigung. Aber da wollen wir hinkommen, dass auch Menschen mit Beeinträchtigung Stücke selbst machen.
Dalja: Aber die Stücke werden mit euch zusammen entwickelt.
Konstantin: Genau, die Leiter machen das mit uns zusammen. Niemand sagt: „So habe ich mir das vorgestellt und das muss jetzt so aussehen.“ Die Leiter äußern Vorstellungen. Vieles wird auch wieder geändert. Wir werden gefragt: „Wie könnte es für euch aussehen?“ Manches passiert auch einfach so.
Marie: Was war deine Lieblingsrolle?
Konstantin: Oh, die war bei dem Stück Face to Face. Da habe ich das Leben gespielt. Bei dem Stück geht es um Gegensätze. Ein Gegensatz ist Leben und Tod. Ich habe das Leben gespielt. Dafür war ich ein kleiner Zocker. Dann kam der Tod. Ich als das Leben habe mich erschreckt. Ich habe mich gefragt: „Was will der Tod von mir. Warum steht er jetzt dort?“ Ich hatte Panik. Aber mir kam auch in den Sinn: „Na, wie könnte ich weiterleben?“ Dafür habe ich den Tod dann immer in Karten- oder Videospiele verwickelt. Ich habe gesagt: „Du möchtest, dass ich mit dir komme? Aber zuerst musst du ein Spiel mit mir spielen.“ Ich habe mit ihm einen Deal gemacht: „Wenn du gewinnst, dann komme ich mit. Wenn du verlierst, dann kann ich länger leben.“
Dalja: Wie viele Schauspieler sind an dem Theater?
Konstantin: 45
Marie: Mit und ohne Beeinträchtigung?
Konstantin: Sie haben alle eine Beeinträchtigung. Einige haben eine körperliche, einige haben eine geistige Beeinträchtigung. Andere wiederum haben irgendwelche Schwächen, zum Beispiel was Lernen betrifft. Einige haben eine psychische Beeinträchtigung. Die Gruppe ist immer ganz bunt gemischt.
Dalja: Spielen alle immer mit?
Konstantin: Nein, wir spielen in jedem Monat 1 bis 2 Stücke. Dabei spielen verschiedene Leute mit. Manchmal sind auf einer Bühne nur 4 Leute, auf einer anderen Bühne sind vielleicht 10. Das ist immer ganz unterschiedlich.
Dalja: Ist es für alle ein richtiger Job?
Konstantin: Ja.
Dalja: Wie kann man sich so einen Tag bei euch vorstellen?
Konstantin: Der Tag beginnt um 8:30 Uhr, meistens mit Quatschen. So um 9:00 Uhr gibt es ein Warm Up. Danach kommt es darauf an, woran man gerade arbeitet. Thikwa ist eine Werkstatt für Kunst und Theater. Man geht in die Ateliers. Manche machen etwas mit Ton, mit Zeichnen oder mit Pappmaché. Andere Gruppen machen Schauspiel oder etwas mit Musik oder Tanzen. Andere wiederum machen Körperarbeit. Wir arbeiten alle in unterschiedlichen Projekten und Stücken. Zwischendurch essen wir gemeinsam zu Mittag und um 15:30 Uhr ist Feierabend. Wenn wir auftreten, sind die Zeiten natürlich anders.
Dalja: Wie bist zu zum Schauspielen gekommen?
Konstantin: Vorher habe ich als Landwirt gearbeitet. Dafür hatte ich eine Ausbildung gemacht. 2014/15 wollte ich nicht mehr als Landwirt arbeiten. In einem Berufsförderungswerk habe ich gesagt, dass ich im künstlerischen Bereich arbeiten möchte: Theater, Kino oder Fernsehen. Dort wurde mir das Theater Thikwa vorgeschlagen. Das war 2016. Ich habe dann bei Thikwa angerufen, konnte ziemlich schnell zur Probe arbeiten und ein Praktikum machen. Danach haben sie mich gefragt, ob ich dort arbeiten möchte. Seit November 2016 bin ich jetzt dort.
Marie: Das bedeutet, ihr braucht keine Ausbildung.
Konstantin: Genau, man muss natürlich Lust haben. Eigentlich könnte jeder bei Thikwa spielen. Ich weiß halt nicht, wie lange es dauert. Bei mir ging es ziemlich schnell.
Dalja: Vielleicht hattest du Glück, dass auch gerade ein Platz frei war.
Konstantin: Ja, und sie haben gesehen, dass ich es konnte.
Dalja: Du bist also glücklich mit deiner Arbeit?
Konstantin: Ja, ich mache das sehr gerne. Die Arbeit ist sehr unterschiedlich. Letztes Jahr im Sommer habe ich zum Beispiel mit Kindern gearbeitet. Oder ich war an der Universität, wo wir mit Student*innen ein Stück zusammen gemacht haben.